Mein erster Tag - Danke. Am 28.8.1944 begann meine Reise in die Welt, genau 195 Jahre nach Goethes Geburtstag. Mein Vater aus Priebus hätte 1939 in Bunzlau / Schlesien seine Lehrerstelle begonnen, die der Kriegsbeginn verhinderte. Meine Mutter stammte aus einem kleinen ostpreußischen Gut mit Mühle, Schönlinde bei Heiligenbeil. Ich landete wohl mit einem Freudenschrei zur ersten Reinigung wahrlich in einer hübschen, ultramarinblauen, getüpfelten Bunzlauer Schüssel. Bald konnte ich in meinen ersten Wagen umsteigen, an dem mich meine beiden Geschwister Peter und Beate heiter begrüßten. Unterdessen näherten sich von allen Seiten her die alliierten Truppen Deutschland, um der Diktatur des III. Reiches ein Ende zu bereiten. | |
Windelwechseln in Dresden Das bevorstehende Einrücken der russischen Befreiungsarmee, ein berechtigter Schrecken für die deutsche Bevölkerung, veranlasste meine Mutter Erika zur Flucht nach Westen. Am 13.2.1945, Fastnachtsdienstag, wartete sie im überfüllten Dresdner Hauptbahnhof auf die Weiterfahrt im nächstmöglichen Güterzug. Mein lautes Weinen sollte mit einer frischen Windel beruhigt werden. So schob sie uns Kinder mit dem Kinderwagen 3 km weiter weg vom Zentrum zu Bekannten - unserer Rettung. Während ich zufrieden wieder schlief, zerstörte der große Bombenangriff Bahnhof und Altstadt und etwa 200 000 Menschen starben qualvoll, von denen niemand mehr etwas weiß. Die über 1000-jährige Entwicklung Deutschlands wird in wenigen Jahren zerstört. Unsere Erde wird neu geordnet. Wie wird sich die Zukunft entwickeln? Traditionen überwinden, aber nicht vergessen - weltweit. | |
Als Familie vorerst gerettet In Bad Elster im Vogtland fand unsere Flucht ein Ende und unsere Familie nach Kriegsende hier wieder zusammen. Mein Vater war mit abgelaufenen Stiefeln und seiner einzig verbliebenen Kleidung gekommen. Tante Lu, strenge Lehrerin, Tante Elma und Tante Wanda sind ins nahe Markneukirchen gezogen. Trotz amerikanischer Befreiung war wenig später hier die sowjetische Besatzungszone entstanden. Am 16.4.1948 besuchte uns ein junger, freundlicher russischer Soldat, um meinen Vater, der Lehrer für alte und neue Sprachen auch für Russisch war, zu einer Übersetzungsarbeit zu bitten. Auf Mamas Gitarre begleitete er zuvor heitere Lieder. Lustig hoppelte ich auf seinen Knien als 4-jähriger Reiter. Für meinen Vater begann damit die leidvolle Zeit russischer Nachkriegsgefangenschaft im fernen Kasachstan, für meine Mutter und uns drei Kinder die bittere Zeit fremder Flüchtlinge in der DDR. | |
Zurückhaltung in der DDR Bad Elster wurde zur ersten Erfahrungswelt für mich. An allen Straßenrändern gab es aus Lautsprechern tagsüber Hinweise zum neuen Alltag und den Fortschritten der Regierung wie Preissenkungen für Lebensmittel. Um 22 Uhr MEZ wurde der Glockenschlag des Moskauer Kreml und die danach siegreich gesungene russische Nationalhymne übertragen. Die ab 1950 in der Schule verkündete Aufbruchstimmung übertrug sich nur zögernd auf mich - ohne Papa, als katholischer Außenseiter, sogar Messdiener und Junger Pionier aus dem Haus Rosenkranz. Unauffälligkeit, wöchentlicher Fahnenappell, 1. Mai-Umzüge gegenüber Schulspeisung, Schulchor, Sport, Spiel, Unterricht, vielen Kinderfilmen im Kino und dem verbotenen Radiosender RIAS Berlin, bei all dem ich trotz manigfaltiger Störsignale heimlich träumen konnte. | |
Vergangene Kindheit - anhaltende Erinnerung Mein Freund Micki und ich fanden hier unser Kinderparadies am nahen Russenzaun, der Teile des Ortes trennte. Neben seinem Elternhaus legten wir Gärten an, zimmerten Baumhäuser und eroberten allmählich den blumengefüllten Kurort mit den umliegenden Hügeln im Elstertal. Wir bewunderten den Freilichtmaler Knothe, lauschten dem Kurorchester in der Wandelhalle und auf dem Badeplatz, aber auch den Fegern mit den Birkenbesen, die über die Kieswege strichen oder Herbstlaub aufhäuften, in die wir danach hineinspringen konnten. Wir rauchten Kastanienblattzigarren, kletterten im Frühjahrsduft zu den Brüsten der Hygieaskulptur hinauf, die im Winter mit einem Holzkasten verschlossen war als Schutz vor dem Braunkohlesmog und -mief. Wir wussten jeden Tag zu nutzen in ausgiebigem Spiel zu zweit oder in unserer Bande mit anderen Kindern oft an der Grenze zu staatsfeindlich angesehener Griminollidäd. | |
Im Westen etwas Neues Mein Vater war 15.12.1955 Russlandheimkehrer und für uns begann ein neues, gemeinsames Leben im "Westen", während des ersten Jahres in St. Peter auf dem Schwarzwald. Die bäuerlich- kirchliche Zeit mit Kindern, Kühen, Fliegen, mit Schneedünen, Wiesenhängen voller Löwenzahn, nahen und fernen Berge, mit dem Dreisamtal und seiner Verwandlung zum Nebelmeer bis in die Rheinebene und dem herausragenden Kaiserstuhl vom Lindenberg oder Schauinsland aus, bewundert, überhaupt andere feinere Düfte als in der DDR, Luft, welch eine Befreiung. Endlich auch Micki-Maus-Hefte, Kaugummi, Schokolade, Mandarinen, Orangen, Bananen, Weckle, eine wunderlich andere Sprache, kleine Fahrten in die Umgebung und die nahe Schweiz und mit dem alten Bus täglich nach Freiburg zur Schule. | |
Freiburg und das Rotteck-Gymnasium Rasch wuchs ich in ein neues, großes Paradies hinein - Freiburg. Wir zogen in die Dreikönigstraße 40. Das Rotteck-Gymnasium, ein "italienischer Palazzo", wurde bis zum Abitur 1965 meine Schicksal-Schule mit Französisch, Latein, Geschichte, Biologie, Erdkunde und Kunst natürlich. 1958 begann ich neu mit Tagebuchaufzeichnungen bis 1965, zusätzlichen Fotos und Sammeln von mancherlei Alltagsdingen für zukünftige Erinnerung, Kinohefte, Einwickelpapiere, Streichholzschachteln, Ansichtskarten, Poststempel... Mein geheimes Bandentagebuch aus Bad Elster war vor unserer Abreise vernichtet worden. Jetzt konnte ich unkontrolliert, freudig notieren. Für die Johanneskirche war ich erst Messdiener, dann Jugendgruppenleiter und in Zeltlagern zuständig für Freizeitbeschäftigung, später im Kirchenchor Tenor und Vorsitzender, im Pfarrgemeinderat was? Protokollant. | |
Ich, ein Gesamtkünstler meiner Art Meine Entscheidung, Kunstlehrer zu werden in der Meinung, dass ein moderner Künstler Lernen und Lehren müsse, um Mitgestalter einer neuen Zeit sein zu können, begann im Mai 1965 mit dem Studium an der Kunstakademie Karlsruhe, einem Selbststudium als verachteter, missgönnter Einzelkämpfer. Malerei wurde damals ohne Zukunftsaussichten von Objekt-, Aktions- und Konzept-Kunst verdrängt. Mit fotografischem und zeichnerischem Festhalten meiner Erlebniswelt begann ich geduldig meinen Weg zu ungewissem Ziel. Ich wohnte in Karlsruhes Altstadt, dem Dörfle, das während meiner gesamten Studienzeit abgerissen wurde. Die Meinung, alles Alte zu "sanieren", entsprach ersten großen Wegwerfaktionen wie "Sperrmüll" und setzte sich mit "Aufschwung", Umweltmissachtung, Landschaftszerstörung, Bausünden und allgemeiner Rücksichtslosigkeit fort. | |
Die wichtigen Begegnungen Ein Nachkrieg tobte nicht nur hinter Bretterzäunen, die sichtbaren Verwundungen allerorten beängstigten, machten traurig. Als stiller, machtloser Beobachter übertrug ich Mitleid und Aufruhr in Malereien. Die beiden liebsten Überlebensmittel lernte ich um 1966 kennen. 1970 heiratete ich. Wir wohnten in Karlsruhe in einem ehemaligen Laden, danach im Stadtzentrum. 1971 wurde unsere erste Tochter geboren. 1971 konnte ich das Studium beenden und meine bereits begonnene Tätigkeit als Lehrer für Kunst und Kunstgeschichte nun mit Abschlussprüfung fortsetzen, gleichzeitig mit meiner eigenen Malerei beginnen. 1973 begann ich, nach Freiburg zurückgekehrt, meine Lehrtätigkeit im Neubau des Rotteck-Gymnasiums. 1974 wurden unsere Zwillinge geboren, ein Mädchen und ein Junge. Wir waren eine Familie geworden und ich Lehrer, wenn Zeit war, auch Maler. | |
Autos, in denen ich fuhr Die Faszination, die von Fahrzeugen ausgeht, und der Wunsch nach einem eigenen Auto, beflügelte auch mich, diese als Erinnerung in meinen Malereien darzustellen, als Fotos im Album und als kleine Modelle aufzuheben. In Bad Elster gab es sogar noch zwei Pferdewagen und einen Pferdeschlitten, auf denen ich oft mitfuhr. Meine spannenden Geschichten zu den Autos vergehen leider mit mir und der Zeit so wie der aller Autos. 1950-1956 Autos in Bad Elster, da
fuhr ich oft mit: Opel P4, Wanderer, Ford Eifel, Adler und alte Busse.
1965-1968 Autos, mit denen ich fahren konnte: VW 1500, Renault 4CV, R4. | |
Unterwegs mit der Familie Seit1967 bin ich - sind wir auf Reisen. In unseren Wohnmobilen waren die Fahrten während allgemeiner Ferienzeiten gemeinsames Glück in den Alpen, im Jura, am Rhein, am Doubs, an der Rhone, Seine, Loire, in der Auvergne, Bretagne, Normandie, in Griechenland, der Türkei, in Venedig, Paris, Berlin und vielen deutschen Städten und ab 1982 auch wieder in Bad Elster. Bereichert wurden unsere Fahrten durch unaufdringliche Besuche von Museen, Ausstellungen und Kulturstätten, Kathedralen, Kirchen, Festungen, Burgen, Schlössern, Gärten, Künstlerorten und -Gräbern aber auch von Spiel-Erlebnisplätzen, Wandergebieten und Meeresküsten jeder Art. Emotionsgefüllt entstanden viele Fotografien, Skizzen und anschließende Malereien von unvergessenen Stellen und manche Objets trouvés wurden mitgebracht. | |
Engagiert Kunst-Lehrer sein Die meisten Menschen kennen Kunst nur als Nebenfach, das zwar schön sein kann, aber letztlich nicht nötig im Leben scheint. Nur wenige wollen Maler werden. Dabei sind alle Dinge, die vom Menschen hergestellt werden, nach künstlerischen Gesichtspunkten entwickelt, nicht nur Bilder und Film, sondern auch Design von z. B. Kleidung, Einrichtung, Geschirr, Industieprodukten, Fahrzeugen, Architektur. Die ästhetische Wirkung auf uns ist bestimmend für das Leben und Wohlbefinden. Unsere Menschheitsgeschichte hat sich auf Erden in allen Kulturen mit Kunst dokumentiert und immer wieder waren auch Bildende Künstler wichtige Zeitzeugen. Eigene künstlerische Kreativität kann Lebenshilfe sein. Wer formt Kunstinteressierte, Kunstliebhaber, Kunstverständige? Kunsterzieher zu sein, war mir eine besondere Aufgabe und Verpflichtung zu rücksichtsvoller Achtung in der Entwicklung von Kindern zu Erwachsenen und zum Umgang miteinander. | |
Mühevolle Hausarbeit Unterricht ist nur ein kleiner Teil der Lehrertätigkeit. Was die meisten Menschen nicht sehen, ist das zeitaufwendige Mühen mit Vorbereitung, Nacharbeit und andauernden Korrekturen besonders in den "Ferien" auch für Kunst- und Kunstgeschichts-Unterricht bis zum Abitur. Ständiges Nachdenken über das Gelingen bevorstehender Unterrichtsstunden ist aufreibend. Mir ist nichts leichtgefallen. Eigene künstlerische Arbeit konnte ich oft nur in Notizen andenken, übersichtlich sammeln und in seltener Freizeit zur Ausführung bringen als nötige Rekreationspause mit konzentrierter Ablenkung hin zum eigenen Leben, das ich oft Beruf und Familie unterordnen musste. Das Verschieben eigener Kunst auf spätere Zeiten war bei der Menge der Ideen zu Vorhaben verschiedenster Art ein unbefriedigendes Gefühl, Ausbrüche dabei überlebensnotwendig. | |
Eingeschränktes künstlerisches Arbeiten Das Nachdenken über kunstgeschichtliche Epochen und das Werk der unzähligen Künstler/-innen in diesen, kann angesichts der Fülle zu eigener Unentschlossenheit und Lähmung führen, kann aber auch Ansporn sein, eigene Gedanken zu entwickeln, diese einfach mitzuteilen, in Bilder umzusetzen, noch Fehlendes zu ergänzen. Immer das gleiche Bild, das ähnliche, der wiedererkennbare Stil war mir eher langweilig. Ich war nie vom Verkauf abhängig. Ausstellungen waren eher nur ein kurzes Vorzeigen. Die vielgestaltigen Möglichkeiten gegenständlicher und ungegenständlicher Malerei, Abstraktion und Verfremdung, Zufall und Absicht, langsames und rasches Malen, Ausführung und Andeutung sind mir wichtige Kriterien zu unterschiedlichen Ausführungen und neuen Erlebnissen beim Zeichnen, Malen und in der Objektkunst. | |
Einkehrzeit, Auskehrzeit und Innehalten Ich bin von mir ausgegangen, meinem Zimmer, habe darin gefegt, gepinselt, gemalt, feiner und grober, mehr oder weniger einfallsreich, habe dokumentiert und erfunden, je nach dem. Das Öffnen mehrerer Zimmer gilt einer übersichtlichen Sortierung. Ich hatte mehr vor, als ich bis jetzt erreicht habe. Vielleicht bleibt mir noch eine Weile Zeit, mich zu entwickeln, einiges auzuführen. Gehen Sie durch die Türen, sehen Sie sich in den Zimmern um, genießen Sie die bisherige Fülle und die nachfolgenden Ergänzungen. |
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Orte mit
Zimmerstraßen und
"Zimmer"-Orte Es gibt einige Orte mit Straßen und Orte selbst, die nach Zimbern, nach mittelalterlichen Rittern und den Grafen von Zimmern bei Messkirch (Zimmersche Chronik, 16.Jh.) aber auch nach den Zimmerleuten, Zimmermännern oder nach berühmten Menschen benannt sind, die den Namen Zimmer führten. Ihnen zu Ehren wurden Zimmer-Straßen gewidmet. Ich möchte mich ihnen anschließen ? wenn auch bedeutend geringer beachtet.
Mindestens möchte ich bei meinen Besuchen an den Zimmerstellen kurz
innehalten,
an meine Namensverwandten denken und darüber staunen, wie ihre
Aufmerk-Stellen
heute aussehen. Meine "Zimmer anderenorts"
habe ich als Kunst-Aktion, einer Tat-Art, fotografisch dokumentiert. Wenn
Sie Fotos davon sehen möchten, dann besuchen Sie bitte mein Kunst-Archiv, gehen durch die Tür
"Idee-Notiz" und sehen bei
"Tat-Art" nach. | |
Wolfram Zimmer |